Begegnung

In Granada hatten wir in allen Belangen eine schöne Möglichkeit unsere Akkus wieder aufzuladen. Beseelt mit den Eindrücken dieser schönen Stadt hatten wir wieder Schwung für die nächste Etappe. Wir wollten gerne ganz langsam, entlang der Mittelmeerküste in 10 Tagen von Granada über Motril, Almería und Murcia bis nach Valencia trampen. So der Plan.
Was wir erlebten:
Aus Granada wegzutrampen war wieder überraschend einfach. Wir fuhren mit Vater und Sohn, wenig englisch und noch weniger spanisch direkt bis nach Motril. Vor dem Fenster ein Spanien wie im Bilderbuch: Sierra Nevada mit Schnee, Olivenbäumen und blitzeblaue Stauseen. Die Gegend präsentiert ihren Vorzug auf dem Silbertablett: an einem Tag kann man hier Snowboarden und im Mittelmeer schwimmen gehen.
In Motril suchten wir uns inmitten von Agragflächen ein stilles, windgeschütztes Plätzchen und verbrachten an dem Ort ungesehen 4 Tage.

DSC06339
Kochstelle
DSC06365
Motril nach dem Regen

Wir lebten im Schlaraffenland: Für Wasser mussten wir zwar recht weit laufen, aber frisches Obst und Gemüse wuchs in Hülle und Fülle um uns herum: Salat , Tomaten, Bananen und Maracuja. (… so Sachen!)

DSC06366
Ernte
DSC06356
Schlaraffenland

DSC06355

Genialer Weise hatten wir genau in den Tagen mal wieder ausgerechnet den wenigen Regen, den es generell ja nur gibt, im Wetterbericht. An einem Tag bescherte uns dies ausgiebige Lese- und Spielstunden im Zelt. Auch sahen wir (dank moderner Technik) erste Dokumentationsfilmchen übers weite Skandinavien. Ansonsten sahen wir von Motril nicht so viel. Wir konnten die Sachen nicht allzu lange alleine lassen…
Daumen raus an der Ortsausfahrt in Richtung Almeria/Vera und – laaaange NIX. Nach vier Stunden langen Atems und Sonnenbrand auf der Nase hielt dann doch noch einer an. Exakt zu dem Zeitpunkt, den wir uns als Deadline gesetzt hatten, um unser Zelt wieder auf zu bauen, um am nächsten Morgen weiter unser Glück zu versuchen. Diese Fahrt brachte uns weder nach Almeria geschweige denn nach Vera. Wir landeten in Adra. (unbedingte Google-maps-Empfehlung) Adra liegt umgeben von Folienzelten für Gemüse. An diesem Ort wurden wir endgültig der letzten Illusionen über die Entstehung von „Obst und Gemüse aus Spanien“ beraubt. Die Dimensionen (bis zum Horizont reicht nicht!) sind schier unbegreiflich. Zwischen den Planen leben die Menschen, die unser frisches Obst und Gemüse ernten in ärmsten Verhältnissen. Auf den winzigen nicht überdachten Flächen paaren sich verhedderte Planenreste im staubigen, kargen Gestrüpp mit allen Sorten denkbarem Mülls. Beim Durchfahren dieser Gebiete erlebten wir Wechselbäder der Gefühle zwischen Abgestoßenheit, Zorn und bitterer Trauer. Gleich neben der Autobahn bauten wir unser Zelt hinter einem kleinen Busch auf, der uns ein bisschen Windschatten bot und uns etwas versteckte. Unbehelligt blieben wir nicht. Ein paar sreunende Hunde verteidigten lautstark ihr Revier. Beflissen machten wir uns an die Markierung unserer bescheidenen Grenzen und dann war Ruhe.

DSC06370
Adra

Am nächsten Morgen nahm uns ein freundlicher junger Mann samt guter Musik im Auto mit nach Almeria. Dort stellten wir fest, dass wir beide gerade mal eine kleine Pause von unserem Vagabunden-Leben brauchten. Wir mieteten uns in ein Hostel ein, sprangen schnell unter die Dusche, parkierten unsere Wanderschuhe auf dem Fensterbrett (wenn man selber sauber ist, riecht man es plötzlich…) und pilgerten in den nächsten Waschsalon. Während die Maschinen erst alles sauber, dann alles trocken rumpelten, hatten wir eine dieser Begegnungen: Sie Deutsche, er Norweger, beide auf Achse. Seit dem Überleben ihrer Krebserkrankung hat sie vom System die Nase voll. Alles verkauft, aufgegeben außer ihrem Wohnmobil und den Dingen, die sie zum Leben braucht. Sie reist seit 6 Jahren (!) in Europa rum, immer dort hin, wo es schön ist. Seit drei Jahren macht er mit. Sie sind Anfang 60. Für Isy und mich ist es sehr inspirierend, uns mit ihnen zu unterhalten und Einblicke in ihre Weltsicht zu bekommen. Was alles geht!
„Geknudelt und gewudelt“ standen wir am nächsten Tag wieder am Highway und weiter gings. Nach einer lediglich mittelnervigen Stunde im Sturm hiet ein Transporter. Drin sass ein einzelner sehr schwarzer Mann mit sehr weißem Käppchen und Bart. Er fahre an Vera vorbei. Wir können mit. Auf der Fahrt erzählte er uns von sich. Er ist einer der Menschen, die in der Folienwelt arbeiten. Er hat zuhause in Gambia eine Frau und neun Kinder. Dafür arbeitet er hier in Spanien. Es ist nicht schlecht. Besser, als in den USA, aber eigentlich möchte er nach Skandinavien. Er lädt uns ein, bei ihm zu übernachten. Wir überlegen nur kurz. Sowas wollen wir: Einblick in das Leben derer bekommen, die hier leben. Und das bekommen wir: in Vera setzte er uns gegen Mittag ab. Er werde uns abholen, wenn er fertig sei mit arbeiten. Er rufe uns dann vorher an. So gegen 17.00 Uhr. Vera hatte auch sehr frischen Wind und ansonsten nicht viel zu bieten außer dienstbeflissene, äußerst possierlich anzusehende Polizeibeamte und aufwendige Beerdigungszeremonien. Wir guckten zu, warteten und wurden zu Eisklumpen. Wir schlugen großzügige anderthalb Stunden auf die verabredete Zeit drauf, bevor wir unseren neuen Freund und Besitzer des Daches über unseren Köpfen für kommende Nacht, zweifelnd anriefen. Ja, er komme in 20 Minuten. Aufatmen! Er hat uns nicht veräppelt oder war nur zwangsweise höflich, sondern wird uns holen. Nach den 20 Minuten wurde es Nacht. Die Möglichkeit, das Zelt noch irgendwo sicher und sturmfest aufzubauen schwand. Ich liess Isy bei den Sachen, seine Defrost-Übungen turnend, zurück und suchte das einzige Hotel im Ort. Es ist zu teuer! Nach noch mehr Zeit kam er dann. Es sei etwas dazwischen gekommen. Sein Boss habe ihn angefordert. Es täte ihm sehr leid. Er entschuldigt sich, denn er habe es versprochen und er halte seine Versprechen. Alles gut! Wir waren nur erleichtert, wenngleich so unklar war, wo wir als nächstes landen wuerden. Seine Wohnung war sehr ärmlich, ein großer Topf Reis auf dem Herd, spartanische Einrichtung mit Dingen, denen anzusehen ist, dass sie über eine lange Periode zusammen gesammelt worden sind. Er machte erst mal den Fernseher an. Wirkte wie eine Höflichkeitsgeste. Dann entschuldigte er sich nochmals, dass er nicht geschafft habe einkaufen zu gehen (wir wurden ja Zeuge davon, dass er den ganzen Tag gearbeitet hatte!), aber er habe noch dies und das. Ob wir uns daraus ein Abendessen kochen wollen? Er selber trank nur eine Tasse Tee. Das Bett, in dem wir schlafen konnten gehört seinem jungen Mitbewohner. Dieser räumte es für uns und erzählte stolz, er habe schon in Deutschland gelebt: Köln. Dann brachte unser Gastgeber seine Papiere und wollte, dass wir alles ansehen. Er zeigte uns außerdem Saatgut für Okra: das ist seine Geschäftsidee. Das läuft richtig gut. Er schenkte uns ein paar Samen. Ich bin gespannt, was diese mit der uckermärkischen Sonne anfangen können.
Isy und ich sind fassungslos über die Gastfreundschaft und Großzügigkeit dieses einfachen Mannes. Er ist so arm und beherbergt uns ohne Zögern, bösen Willen oder Hintergedanken. Er schenkt uns alles, was er zu geben hat mit einem strahlenden Lächeln. Ich fühlte mich gleichzeitig fehl am Platz mit meiner Outdoor-Funktionskleidung und der schweren Kamera, aber auch genau am richtigen Ort, um sehr viel zu BEGREIFEN. Wir gingen nicht zu Bett, ohne, dass er uns versicherte, er tue nun mal sowas. Er habe auch schon erlebt, dass er komplett ausgeraubt worden sei bei so einer Aktion. Aber Allah sagt, man müsse denen helfen, die Hilfe brauchen und er versuche sein Bestes, seinen Glauben zu leben. (Ich fühle mich nicht der Zielgruppe zugehörig, die in seinen Augen zwangsweise auf Hilfe angewiesen ist! Die Demut, zu der dieser Mann fähig ist, erfüllt mich mit Ehrfurcht.) Am nächsten Morgen ist er weg. Kagoro…

DSC06378
Kagoro

Aus Vera trampten wir weiter und kamen mit einstündiger Unterbrechung plus frischen Orangen bis nach Murcia. Diese Stadt wurde uns von mehreren Spaniern abempfohlen. Sie lag jedoch auf unserer Reiseroute in Richtung Valencia. Ohne große Erwartungen nahmen wir sie als Etappenziel an. Die zwei Tage Aufenthalt dort waren ausreichend, um sich ein eigenes Bild zu machen. Wir finden, dass Murcia ein nettes Kleinod ist. In der Mitte der Stadt fließt ein türkisfarbener Fluß belebt mit einer bunten Fauna von Wasservögeln direkt an einer imposanten Kathedrale vorbei.

DSC06382
aussen
DSC06388
innen

Dies erschienen uns der perfekte Ort, um unsere langgeschleppte Flasche Weißwein von der Weinverkostung in Lissabon zu köpfen. Mnyam!!! Der Aufenthalt von zwei Tagen ergab sich aus den absolut un-tramp-barsten Stadtausfahrten der Welt. Wir buchten kurzerhand ein Blablacar direkt nach Valencia und fuhren am zweiten Tag sehr entspannt mit Amanda durch die Landschaft. Sie ist Valencianerin und hatte einige Empfehlungen für uns parat.
In Valencia finden derzeit die einwöchigen Feierlichkeiten zur Begrüßung des Frühlings statt. Jedes Stadtviertel baut ein Jahr lang an einer „Falla“ – einer riesigen Figur aus Pappmachee, welche am Ende der Tage verbrannt wird.

DSC06432
Fallas

Das Fest umfasst die ganz Stadt. Auf den Straßen sind Menschen, Musiker und eben die riesigen Monumente. Mehrmals am Tag finden Feuerwerkszeremonien statt: Mascletas. Alle Feuerwerke, die wir je gesehen haben, verblassen angesichts der Dimensionen, die hier mit erdbebengleichen Detonationen in die Luft gehen.
Auch in Valencia wurde einer unserer Wünsche für unsere Reise wahr. Durch einen Kontakt, zu dem wir in Pisa im Dezember durch Couchsurfing gekommen sind, konnten wir bei einer sehr freundlichen und interessanten Frau unterkommen. Sie heißt Sol (Sonne), praktiziert Akroyoga und Schamanismus und lebt mitten in der Stadt in einer sehr schönen Wohnung. Gleich am ersten Abend nahm sie uns mit zum Akroyoga, was uns sehr gefällt. Bald stellte sich heraus, dass sie uns nicht nur unterbringen möchte, sondern uns auch sehr gerne die Stadt zeigen mag. Sie spricht nur sehr wenig englisch, aber mein weniges spanisch zusätzlich reicht, um zu merken, dass wir sehr auf einer Wellenlänge sind. Am meisten mag ich, dass sie sagt, sie sei frei. Sie mag keine Extreme, sondern möchte machen, was ihr gut tut.

DSC06481
Sol

Mehr und mehr gelange ich zu der Erkenntnis, dass die Begegnungen mit den (sehr!) unterschiedlichen Menschen mich am meisten berühren. Angesichts der geschichtsträchtigen oder atemberaubend schönen Orte, die wir schon gesehen haben, mag das ignorant klingen. Es eröffnet neue Welten, beschenkt uns mit so viel Erfahrung und zeigt so deutlich, wie wichtig Toleranz und Respekt ist. Es ist nicht so, dass uns diese Werte vorher fremd waren, aber sie jetzt so deutlich zu spüren, bereitet uns eine ganz neue Tiefe.

Ein Gedanke zu “Begegnung

  1. Hey ihr beiden.
    Es ist immer schoen deine Blogeintraege zu lesen Phine.
    Ich sehe es ganz aehnlich mit den Menschen. Es ist ein bisschen wie normales Leben im Schnellvorlauf.
    Ich hoffe euch gehts gut.
    Euer Ole

    Like

Hinterlasse einen Kommentar